Der „Regionale Fachtag zur beruflichen Bildung für Afrika und Lateinamerika“ fand am 06.11.2018 in Berlin statt. Das Ziel des Fachtages war der Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen den deutschen Bildungsdienstleistern und den deutschen Berufsbildungsforschern. Indeson war dabei und berichtet im Folgenden über den Ablauf und stellt die wichtigsten Ergebnisse vor.
6. November 2018, dbb forum berlin, Friedrichstraße 169, 10117 Berlin
Die Organisation des Fachtags wurde wie gewohnt professionell und herzlich von iMOVE und dem DLR Projektträger durchgeführt. Eingeladen zum Fachtag hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Der Themenfokus waren die Herausforderungen beim Bildungsexport bzw. Transfer dualer Berufsbildungselemente in die Schwellen- und Entwicklungsländer Afrikas und Lateinamerikas, sowie die Unterstützung der Bildungsdienstleister und Forscher durch das BMBF.
Eröffnung: Deutscher Gegenpol zu den Berufsbildungsangeboten angel-sächsischer Länder?
Die Eröffnungsrede hielt Dr. Henk van Liempt, der beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für das ERASMUS-Programm und die internationale Zusammenarbeit in der Berufsbildung zuständig ist. Seine Rede unterstrich, dass Deutschland, trotz des sehr guten Ausbildungssystem, beim Berufsbildungsexport nicht so gut aufgestellt wäre wie andere Länder. Vor allem angel-sächsische Länder hätten bessere Programme anzubieten. Einen deutschen Gegenpol dazu aufzubauen sei eine große Herausforderung, die genau hinterfragt werden müsse. Dazu diene auch der Fachtag, der unterschiedliche Gruppen zusammenbringe.
Beide Fokusregionen des Fachtags, Afrika und Lateinamerika, stehen bezüglich ihres Arbeitsmarktes und der entsprechenden Berufsausbildung vor großen Aufgaben. Dr. van Liempt betonte, dass besonders die deutsche Forschung bei der Berufsbildung global einzigartig sei, aber nicht unbedingt eine dementsprechende Präsenz hätte. Der Mehrwert aus Wissenschaft und Praxis müsse klarer werden, dazu müsse man sich die Frage stellen, wie man besser voneinander lernen kann.
In Afrika würden sich große Marktchancen anbieten, die auch dafür genutzt werden sollten, dass sich der Wohlstand in Afrika selbst erhöht, um auf die demographische Entwicklung und aktuelle politische Herausforderungen, wie die Migration, zu reagieren. In Lateinamerika würden schon lange Kooperation existieren, zum Beispiel mit Mexiko, aber es gebe noch viele Potenziale. So berichtet Dr. van Liempt exemplarisch von seinem kürzlich stattgefundenen Gespräch mit dem Botschafter von Panama. Der Botschafter erzählte ihm dabei von der Absicht Panamas die Konzentration auf den Dienstleistungssektor zu verringern. Da es in Panama bisher aber gar keine Berufsausbildung gebe, sondern nur Universitätsstudiengänge, sei der Bedarf an Unterstützung in der Berufsbildung groß.
Dr. van Liempt schloss damit, dass die Privatwirtschaft bei politischen Kooperationspartnern Bedarfe aufgreifen soll und die Forschung zum Bildungssystem in Partnerländern erweitert werden sollte.
Erfahrungsberichte: “Hidden Champion” Lateinamerika?
Nach der Eröffnung stellten Dr. Ralf Hermann, der Leiter von GOVET, und Peter Pfaffe, u.a. zuständig für Subsahara-Afrika bei iMOVE, Studien und Erfahrungsberichte zum Berufsbildungsexport nach Afrika und Lateinamerika vor.
Zur Region Lateinamerika stellten sie fest, dass es starke Impulse aus der Wirtschaft gebe, so besteht die Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft bereits seit 1994. Die Region ist der „Hidden Champion“ aus der Sicht von iMOVE. Es bestehen intensive Kooperationsbeziehungen in Wirtschaft, Bildung, Forschung durch mehrere Resorts wie unter anderem BMZ, BMWi, BMBF. Schwerpunkte der bilateralen Kooperation sind unter anderem Mexiko, Brasilien und Costa Rica. Die Anzahl und das Engagement der in Lateinamerika tätigen Bildungsanbieter wächst seit dem Jahr 2007 kontinuierlich.
Bezüglich der Region Afrika gebe es viele politische Resort-Initiativen, die auch Schwerpunkte in der beruflichen Bildung haben, aber noch sinnvoll zusammenfinden müssten. So gebe es neben den Afrika-politischen Leitlinien der Bundesregierung, beispielsweise die Initiativen „Marshall-Plan“ (BMZ), „Pro! Afrika“ (BMWi) und „Afrikastrategie 2014-2018“ (BMBF). Schwerpunkte in der bilateralen Zusammenarbeit sind unter anderem Südafrika, Ghana und Tunesien. Es wurde festgestellt, dass es Länder in Afrika gebe, in denen noch gar keine privaten oder öffentlichen Bildungsanbieter aktiv seien und dass es in vielen Ländern erst einmal darum gehe Standards zu etablieren. Der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften sei generell sehr groß, die Bildungsvertreter hätten jedoch Probleme beim Marktzugang, weiterhin sei das Image der Berufsbildung noch zu verbessern. Ein gutes Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken verschiedener Initiativen seien die Aktivitäten in Ghana.
Podiumsdiskussion: Berufsbildungstransfer zwischen Forschungsergebnissen und Implementierungserfahrungen
Auf die Analyse der Regionen folgte eine Diskussionsrunde zum Thema „Berufsbildungstransfer zwischen Forschungsergebnissen und Implementierungserfahrungen“ zwischen Prof. Dr. Ute Clement, Dr. Gesine Haseloff, Betulio Rojas, Dr. Heinrich Heinrichs und Fabienne Baumann, deren Redebeiträge im Folgenden stichwortartig zusammengefasst sind. Das Fazit der Moderatorin Eva Zimmermann (DLR Projektträger): Wissenschaft und Implementierende sind nicht genug verzahnt.
Prof. Dr. Ute Clement, Professorin für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel, Vizepräsidentin der Universität Kassel
- Warum werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in der Praxis aufgenommen?
- Erwartung: Professoren müssen alles wissen – Antwort: Woher?
- Der Ruf der Professoren müsse geschützt werden – da der Forschungshaushalt durch Drittmittel bestritten werde, gebe es kaum Zeit dafür, die Theorie in praktische Anweisungen umzuformen und Praxisprobleme zu lösen
- Anfragen für Beteiligungen als Experten: Es gebe nicht genug Zeit diese zu beantworten, es sollte stärker mit der Forschung des Landes (nicht nur mit der Forschung über das Land) kooperiert werden.
- Als Antwort auf die Forderung von Dr. Heinrichs für mehr Unterstützung aus der Wissenschaft für ein „Duales Afrikanisches System“: Was kann Wissenschaft leisten? Wissenschaft kann nur etwas beschreiben, was es schon gibt oder früher schon einmal gab, daher ist es nicht möglich zu sagen, wie etwas in der Zukunft gemacht werden sollte.
- Die Forschung zur Berufsbildung bzw. Berufspädagogik sei recht schwach in Deutschland, daher sei sie nicht prestigeträchtig und hätte nur eine relativ kurze Tradition
- Es müsse stärker in den Vordergrund gerückt werden, dass Wissenschaft mehr leisten muss, um Nachhaltigkeit zu fördern
- Berufsbildungsforschung könne einen großen Beitrag dazu leisten herauszufinden, wie Firmen in den Zielländern ihre Arbeitskräfte rekrutieren
- 3 Themen: Didaktik, Train the Trainer, Kultur – Dabei könne die Wissenschaft helfen: Vor allem bei der Evaluation
- Wie könne man zusammen kommen? Durch Kommunikation und der dementsprechenden Findung einer gemeinsamen Sprache zur Verständigung zwischen Theorie und Praxis – Die deutsche Wissenschaft sei in diesem Punkt aber noch nicht sehr weit gekommen, die Wissenschaft in anderen Ländern, wie unter anderem in den USA, UK oder den Niederlanden, sei hier schon weiter vorangekommen
Dr. Gesine Haseloff, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen
- Es gebe keine besonders nennenswerte Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und den Bildungsanbietern
- Es sei keine konkrete Zielstellung verabredet
- Der Informationsaustausch wäre nicht gut
- Die Evaluierung und Kontrolle der Implementierung sei schwierig – es müssten schon von Anfang an beide Seiten mit eingebunden sein
- Die Wissenschaft könne in den Zielländern nicht befehlen: “Hier sind unsere Ergebnisse, setzt sie um”, daher müsse mit der Forschung vor Ort direkt zusammengearbeitet werden
- Es müsse mehr Netzwerke für die berufliche Bildung, in denen die Firmen und Forscher zusammen arbeiten können, geben
Betulio Rojas, Drive & Control Academy der Bosch Rexroth AG
- Politische Stellen von einer Lehrerausbildung ähnlich des “Dualen Systems” zu überzeugen, sei sehr schwer
- Unterstützende Funktionen aus der deutschen Politik sollten ausgebaut werden
- In den Zielländern würden Curricula und international anerkannte Zertifikate gewünscht
- Wünscht sich im Bereich E-Learning eine stärkere Zusammenarbeit mit dazu forschenden Institutionen
- Auch Länder in Krisen, wie u.a. Honduras hätten einen „großen Hunger“ auf das “Duale System”
- Mexiko: Thema Technologie – es gäbe einen riesiger Bedarf, ebenfalls in Südamerika, besonders in Peru und Kolumbien
Dr. Heinrich Heinrichs, Geschäftsführer africrops! GmbH
- Arbeit der Experten und Implementierenden berührten sich zu wenig
- Policies (z.B. Curricula) wären häufig schon ganz gut in den Ländern vorhanden – es fehle die Umsetzung
- Zusammenarbeit der ansässigen Bildungsträger mit den Unternehmen müsse verstärkt werden z.B. sollten Produzenten stärker in die Ausbildung eingebunden werden
- Es sollte ein Unterschied zwischen „normalen“ Handwerksberufen und Weiterbildungen gemacht werden, das Paradebeispiel Mechatroniker zeige, dass sich bestimmte Berufe schneller als andere weiterentwickeln und nicht unbedingt an allen deutschen Berufsschulen auf aktuellem Stand ausgebildet werden könnte
- Mitarbeiter die frisch aus Vocational Trainings Centern kämen, müssten aus Firmensicht denoch weiter ausgebildet werden
- Namibia: Das Berufsbildungssystem sei gut, aber die Wirkung auf dem Arbeitsmarkt sei gering – Die Verbindung zwischen Training und Produktion müsse verbessert werden
Fabienne Baumann, Wissenschaftliche Begleitforschung IBB
- Die deutschen Wissenschaftler hätten Schwierigkeiten sich mit den entsprechenden Wissenschaftlern der Zielländer zu verknüpfen
- Es gebe zu wenige Publikationen der Implementierenden über ihre Tätigkeiten – Die Zusammenarbeit könne noch stark verbessert werden
- Aktuell würden relativ viele Projekte wissenschaftlich begleitet, aber es fehle häufig eine Sondierungsphase vor dem Projekt, um die aktuelle Situation, Hochschulen etc. vor Ort einzuschätzen und Kontakte aufzunehmen
- 2 bis 3 Jahre Laufzeit für ein Projekt seien aus wissenschaftlicher Sicht zu kurz, um nachhaltige Ergebnisse zu erhalten
- Welche konkreten Probleme gebe es? Welche Bildungslücken müssten gefüllt werden? Wie sei die Vernetzung zwischen Leuchtturmprojekten und dem Rest des Landes? – Diese Fragen müssten von den Implementierenden an die Wissenschaft herangetragen werden.
Die Diskussionsrunde war sehr informativ und erlaubte spannende und teilweise kontroverse Einblicke in die sehr unterschiedlichen Perspektiven der Akteure der internationalen Berufsbildung. Dass eine bessere Verzahnung und Zusammenarbeit untereinander nötig sei, wurde im Prinzip von allen Teilnehmern bejaht, wie sie erfolgen soll, ist jedoch weiterhin nicht vollständig geklärt. Es konnten aber durch die rhetorische Konfrontation mit Sicherheit positive Impulse für alle Seiten gesetzt werden.
Präsentation: Berufsbildungsprojekte in Tunesien und Mexiko
Im Anschluss fanden zwei Präsentationen von aktiven Berufsbildungsprojekten deutscher Bildungsanbieter in Afrika und Lateinamerika statt. Dabei präsentierte Dr. Roman Senderek, Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) e. V. an der RWTH Aachen, E-mas.de, ein E-Learning-Weiterbildungsprojekt im Bereich Automotive, das erfolgreich für Partner in Mexiko angepasst und lokalisiert wurde. Dr. Senderek berichtete von einer notwendigen Flexibilität bei der Kommunikation mit den mexikanischen Partnern, die gezwungenermaßen über WhatsApp stattfinden musste, da sich ergab, dass über die klassische Email keine Antworten oder nur sehr verspätete Antworten zu erwarten waren.
Lara Mölbert, PRS Technologie GmbH, präsentierte den Aufbau eines privaten Berufsbildungszentrums in Tunesien mit 100 Auszubildenden, das sich aktuell in der Planungsphase befindet und die “Ausbildung der Ausbilder” bzw. Betreuer im Unternehmen als Kernpunkt hat. Sie beschrieb dabei als Grundlage einen generellen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Tunesien, bei einem gleichzeitig starken industriellen Sektor, der einen hohen Bedarf an Berufsbildung hat.
Die Partner des Projekts sind die TÜV Rheinland Akademie (Weiterbildungsexperte), die Universität Duisburg-Essen (Begleitforschung), sowie die PRS Technologie GmbH und der TÜV Maghreb plus zwei private Unternehmen (u.a. Satex, Textilbranche, als Investor) auf tunesischer Seite. Weiterhin sind die AHK Tunesien und die GIZ in das Projekt eingebunden. Als besondere Herausforderungen des Projekts wurden die folgenden Stichworte genannt:
- Viele Stakeholder
- Kommunikation und Sprachbarrieren
- Verzögerungen durch lange Antwortzeiten
- Resistenz gegenüber Ideen von deutschen Partnern, die zu einem erhöhten Erklärungsbedarf führen
- Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Vorgaben, sowie Zeitverzögerungen durch Validierungen
Gelunge Veranstaltung: Wissensaustausch, Networking & SWOT-Analysen
Nach der Präsentation der Projekte wurden die Teilnehmer des Fachtags in einer experimentellen Gruppenarbeit aktiv und nahmen in einer SWOT-Analyse die Märkte für Berufsbildungsangebote in ausgesuchten Ländern Afrikas und Lateinamerikas unter die Lupe. Wie schon während des gesamten, sehr gelungenen Fachtags, konnten die Teilnehmer dabei vorzüglich ihr Fachwissen austauschen, neues Wissen erhalten und ihre Netzwerke erweitern.